Der Begriff der Zombie-Firmen ist in Europa seit mehreren Jahren bekannt. Seinen Ursprung hat der Begriff in Japan. Die japanische Wirtschaft geriet Mitte der Neunziger so sehr in die Krise, dass jede dritte Firma des Landes für ihre Kredite und Schulden weniger Zinsen zahlen musste als in den Jahren davor. Hätten sie die früher üblichen Zinsen auf ihre Schulden zahlen müssen, wären sie reihenweise pleite gegangen. Die Unternehmen wurden dadurch künstlich über Wasser gehalten. Gesund gewachsen sind sie dadurch nicht. Die Zombie-Firmen produzierten ohne steigende Nachfrage weiter, schrieben weiter Verluste und beschäftigten zu viele Mitarbeiter. Und blieben auf dem Markt. Die gesunden Firmen wurden mit runtergezogen und mit ihr die Wirtschaft. Erst 1998 wurde gegen die niedrigen Zinsen vorgegangen. Auch in Europa gibt es Unternehmen, die durch billiges Geld über Wasser gehalten werden. Eine Gefahr nicht nur für Anleger.

Geldpolitik nach der Finanzkrise

Nach der Lehman-Pleite folgte die lockere Geldpolitik der führenden Zentralbanken, um den Unternehmen Luft zum Atmen zu geben. Reihenweise Pleiten sollten verhindert werden und Gewinne angeregt. Das war richtig und konnte die Wirtschaft stabilisieren. Doch dadurch entstanden auch bei uns Zombie-Firmen.

Europäische Zentralbank, Frankfurt

Die Europäische Zentralbank kauft monatlich Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von 60 Milliarden Euro. Bis Ende des Jahres soll das Anleihekaufprogramm ein Volumen von 2,28 Billionen Euro erreichen. Kritiker zweifeln an der Durchschlagskraft des Programms und Anleger zeigen sich zurückhaltend in Anbetracht der Tragweite. Denn durch die Zukäufe und die aktuelle Nullzinspolitik werden Zombie-Firmen am Leben gehalten, die ohne die Geldpolitik der EZB längst pleite wären.

In der WELT kommentierte Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo Instituts:

„Das Problem der Zombie-Unternehmen und -Banken ist immer noch gravierend. Vor allem in Griechenland, Italien und Portugal ist der Anteil der faulen Kredite in den Bankbilanzen noch immer viel zu hoch. Es gehört zum Strukturwandel, dass Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht mehr trägt, schließen und Kapital und Arbeitskräfte zu neuen Unternehmen verlagert werden. Dieser Prozess verläuft vor allem in Italien langsamer als in anderen OECD-Ländern.“

Krisenstaaten wie Spanien und Portugal können durch die zinsfreien Kredite, die die Ankäufe letztendlich sind, ihre maroden Kreditinstitute unterstützen, die wiederum Darlehen an unprofitable Firmen vergeben, die durch die Niedrigzinsen künstlich am Leben gehalten werden. Und das obwohl es in diesen Ländern bereits Kredite zu Discountpreisen gibt. Geholfen wird diesen Firmen dadurch seit Jahren nicht. Eine Säuberung dieser lebensunfähigen Firmen wäre notwendig, doch könnte sie eine neue Krise nach sich ziehen. Stattdessen gehen sogar die Insolvenzen zurück.

Die WELT schreibt dazu:

Tatsächlich ist die Zahl der Firmen-Pleiten in der Euro-Zone auffällig zurückgegangen. Frankreich etwa verzeichnete 2016 einen Rückgang von gut acht Prozent, Italien von sechs Prozent und Deutschland von sieben Prozent. In Spanien lag die Zahl der gemeldeten Insolvenzen sogar um 20 Prozent unter der des Vorjahres. Zwar hat auch die Erholung im Euro-Raum dazu beigetragen, dass es vielen Unternehmen wieder besser geht. Unterm Strich allerdings fallen Investitionstätigkeit und Produktivitätszuwächse weiter schwach aus. Die sinkende Zahl von Pleiten ist daher ein Indiz dafür, dass die Unternehmenswelt längst zu einem erheblichen Teil von Firmen bevölkert wird, die eher den Toten als den Lebenden zuzurechnen sind.

Zombie-Firmen werden über Wasser gehalten

Seit gut zehn Jahren werden vor dem Kollaps stehende Firmen unterstützt. Im Jahr 2014 analysierte die Ratingagentur Standard & Poor’s die Bonität eines Spanplattenhersteller. Das Ergebnis war vernichtend und dennoch sammelte das Unternehmen hochverschuldet mehr als 300 Millionen Euro bei Investoren ein. Schon damals kommentierte ein Banker die Tatsache, dass das Unternehmen überhaupt noch Geld bekommen hat, als undenkbar, wäre das Szenario einige Jahre davor entstanden. Die lockere Geldpolitik der EZB macht es möglich. Es werden seit Jahren Milliarden an den Kapitalmarkt ausgeschüttet. Das besagte Unternehmen ist durch die Niedrigzinsen der Insolvenz entwischt und konnte seinen Anlegern eine hohe Rendite versprechen. Anders als auf dem Festgeldkonto. So entstehen Zombie-Firmen. Und so werden Anleger zu Spekulationen gelockt, die verheerende Auswirkungen haben. Nun soll Schluss sein. Der Wirtschaft geht es angeblich besser. Eine Zinswende soll sich bereits angekündigt haben.

Ladenschließung – istock.com

Steigen die Zinsen, können sich diese Unternehmen nicht mehr halten. Laut der Bank of America Merrill Lynch müssten die Zinsen deutlich steigen, denn es gibt bereits eine enorme Anzahl von Unternehmen, die sich in Europa zu Zombie-Firmen runter gewirtschaftet haben. Laut einer neuen Analyse der Bank sind neun Prozent der 600 größten börsennotierten Unternehmen Europas auf Unterstützung angewiesen. Insgesamt sieht die Bank mehr Zombie-Unternehmen in Europa als in den USA. Die Bank verweist auf das Verhältnis vom Gewinn zum Zinsaufwand.

Diese „Interest Coverage“-Quote liegt bei den neun Prozent bei eins oder weniger. Steigen die Zinsen also an, können die Gewinne dies nicht ausgleichen und die Pleite wäre nahezu unumgänglich. Bemerkenswert ist, dass die Quote vor der Lehman-Pleite bei sechs Prozent lag. Dieser Wert folgt keinem Trend. 2013 lag er bei fünf Prozent, Mitte 2016 wiederum bei elf Prozent. Speziell Südeuropa macht einen hohen Anteil an Zombie-Firmen aus, so die Analyse.

„Die monetäre Unterstützung in Europa in den letzten fünf Jahren hat es Firmen mit schwacher Profitabilität ermöglicht, ihre Schulden weiter zu refinanzieren und Zahlungsausfälle abzufangen“. Weiter heißt es in einer Mitteilung: „Das unterstützt das Argument unserer Ökonomen, dass nämlich die EZB wahrscheinlich sehr langsam und geduldig sein wird, wenn es darum geht, ihre ausserordentlichen Anreize in den nächsten anderthalb Jahren abzubauen.“

Auch die OECD kam zum ähnlichen Schluss. Rund jedes zehnte europäische Unternehmen wäre ohne lockere Geldpolitik nicht mehr am Markt. Die Banken verteilen zu günstige Kredite an unrentable Firmen und wachsende, gesunde Unternehmen werden blockiert. In Deutschland könnte es vier Prozent mehr Arbeitsplätze und 12,5 Prozent mehr Investitionskapital geben, wäre der Anteil der Zombie-Firmen wieder bei den fünf Prozent, wie vor der Lehman-Pleite.

Zinswende wird kommen

Die BoAML erwartet, dass die EZB ihre lockere Geldpolitik ab 2018 absetzt. Doch warnt sie auch vor einer zu enormen und zu schnellen Straffung, denn „das würde nur wieder die Zinskosten der Unternehmen unter Druck setzen und könnte zu einem Anstieg der Zombies führen“.

Hans-Werner Sinn – Quelle: Homepage

Jörg Kämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht den nötigen Biss in den sauren Apfel. Die Unternehmen würden reihenweise pleite gehen und „es wäre kurzfristig schmerzhaft“, aber „es würde uns aber einen langfristigen Ertrag bringen“. Hans-Werner Sinn sagte dazu in einem Bericht: „Die Nullzinspolitik erzeugt nur kurzfristige Strohfeuer, kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Wir kommen durch die Nullzinspolitik in eine Phase, in der Zombie-Firmen und Zombie-Banken am Leben gehalten werden. Diese hätten bei normalen Zinsen längst neuen Unternehmen Platz machen müssen. Ein Prozess der schöpferischen Zerstörung ist die eigentliche Quelle des Wachstums.“

Ob Europa an einem Strang ziehen wird? Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank sagte der WELT: „Europa muss sich irgendwann entscheiden, ob es die öffentliche Verschuldungsdynamik gemeinsam im Rahmen der europäischen Währungsunion kontrollieren kann oder ob dies jedem Staat wieder selbst mit einer eigenen Währung überlassen bliebe. In letzterem Falle wäre die gesamte Währungsunion ein Zombie-Unternehmen gewesen.“ Kater sieht den Beginn der Zinsstraffung erst ab 2019.

ifo-Präsident Clemens Fuest – Quelle: ifo Institut

Die EZB solle sich über den Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik mitteilen, so die Forderung von ifo-Präsident Clemens Fuest auf der Seite des Instituts. Die Finanzmärkte bräuchten die Zeit, um sich darauf einstellen zu können:

„Diese Strategie sollte beinhalten, dass ab Januar 2018 die Anleihekäufe aufhören. Das kann mit der Bedingung verbunden werden, dass die wirtschaftliche Erholung und die Normalisierung der Inflation weitergehen. Ohne ein klar kommuniziertes Programm zum Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik gerät die EZB nur immer mehr unter Druck, die Geldschwemme aufrechtzuerhalten. Außerdem wird das EZB-System immer mehr zum Gläubiger der Mitgliedstaaten der Eurozone. Das ist eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Geldpolitik.“

Nun liegt es also an der EZB. Der Kredithahn soll zugedreht werden. In der heilen Welt der Darlehen und des unkontrollierten Druckens von Devisen wird Mario Draghi ein Gegenwind von medienwirksamen Pleiten und Protesten entgegen stürmen. Für Anleger ist dies ein gutes Zeichen. Die Zombie-Firmen, die sich als gesundes Unternehmen tarnen, werden entlarvt. Schlecht für die Bevölkerung, die von der zehnjährigen Finanzkrise in die Arbeitslosenkrise rutschen kann.

Half China sich selbst?

Auch Chinas Wirtschaft war nicht vor Zombie-Firmen geschützt. Gerüchten zufolge sollen in China im Rahmen der neuen strikten Umweltgesetze und der lahmenden Wirtschaft fünf bis sechs Millionen Arbeitsplätze in den kommenden Jahren gestrichen werden. Alle in unprofitablen Unternehmen. Darüber berichtete die Tagesschau bereits Anfang 2016:

„Wenn einige dieser ‚Zombie-Firmen‘ geschlossen werden und aus der Branche rausgenommen werden, wird das gut sein für die restlichen Unternehmen. Diese haben dann ein besseres Umfeld und sind eher dazu bereit, sich zu modernisieren und zu investieren“, sagt Wang Tao, Chef-Ökonomin für den Bereich China in der Schweizer Großbank UBS.

„Die nachlassende Nachfrage hier in China hat mit unserem Wirtschaftsmodell zu tun, das sich gerade grundlegend ändert. Die Wirtschaft Chinas wandelt sich zu einer modernen Service- und Konsumgesellschaft“, sagt Han Xiaoping, Stahl-Experte beim Fachdienstleister China Energy Network.

Die Ziele der Infrastruktur seien zum Großteil erreicht worden. die Unternehmen produzieren aber dennoch weiter. Überkapazität entsteht. Die Produkte werden zum Niedrigpreis angeboten.

„Die Stahlkonzerne sorgen für hohe Steuereinnahmen in den Provinzen“, erklärt Han Xiaoping. Deswegen hätten die Provinzregierungen den Ausbau der Kapazitäten lange unterstützt: „Wenn ein Stahlwerk irgendwie überleben kann, dann ist das im Interesse der Regionalregierung. Denn neben Steuereinnahmen sorgt es auch für Arbeitsplätze.“

Mit der Schaffung der neuen Seidenstraße „One Road, One Belt“ könnte China der aufkommenden Krise gekonnt ausgewichen sein. Neue Projekte in ausländischer Infrastruktur steigern die Nachfrage nach chinesischen Gütern. China kurbelt seine Wirtschaft von außen erneut an. Arbeitsplätze können gesichert werden und unprofitable Unternehmen erhalten wieder Aufträge. Eine Lösung, die man der EZB und der EU gerne wünschen würde.

(Titelbild: istock.com)

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